Michael Renkel | One reflects far too rarely about Montaigne
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One reflects far too rarely about Montaigne

The Montaigne Project
boundary crossings – an approach to an essayistic music (listen to audio here)

An observer is separated from the observed objects;
individuals are separated from one another:
the barrier.

The observer affects the observed object with his attributes and conditions:
a transition.

There is nothing left if the attributes of the observer
(noticing and describing) are excluded. *1

The essayist is observer and at the same time an observed object which constantly alters under the influence of the gaze. A circular process and steady transitions accrue in which a reader / listener is included.
The essayist considers himself a starting point for reaching the unknown, the unexpected, the undetermined, the surprise.
By means of the description of a subject, he draws his own flowing, forever-escaping portrait of a developing human who never attains completion.*2
Through this subject-object relation a certain dynamism is imparted to the world; thinking leads to rediscoveries, augmentations and metamorphosis….

„Nothing is definable…there is nothing to adhere to, the essayist in his changes sees things allotropically and thus can only concentrate on one facet in order to touch things and through them be provoked into thinking and finding himself. A process commences in which things become liquid and lines of the portrait blur. Because the essayist sees himself as a living being he never is the same – everything is in transition, nothing is really certain.“ *2

„It is not only the wind of coincidences which moves me along in its direction, but I have my own additional motion, bending and winding myself according to the insecurity of my position; and whosoever takes good notice of this in the beginning will hardly ever find himself twice in precisely the same position.“ *4

„I give my soul this face, or another, depending on the nature of the side to which I turn. If I speak of myself in various fashions, it happens because I perceive myself in different manners. This leads to all kinds of contradictions, depending on the point of view and the circumstances.“ *4

Based on one concept of Montaigne’s Essai, it is possible to derive a music which could be called ‘essayistic’:

Observation and description are replaced by jointly listening / sensing, acting, and reacting in the musical context.
The musicians consider themselves the starting point so as to alter the musical process, the composition and the situation, through their actions, which along with the reaction of the others changes the situation once again and generates new impulses and reactions.
The listener is included in this loop inasmuch as he, once again taking himself as a starting point, skeptically initiates a certain process by observing and interpreting the happenings and allowing himself to be carried along.
The composition acquires motion (Umberto Eco called this a ‘mobile composition’).
Perpetually new transitions emerge continually, a flow, a perpetual motion which is never complete and thus (theoretically) infinite. Tradition exists but dissolves into fragments.

Two speakers (in the premiere Fernanda Farah and Sven Åke Johansson) interpret, in a musical sense, the literary meaning of one of the Essais.
Just as Montaigne in his era picked up fragments of Roman and Antique literature for the development of his skepticism, the Essai text is now broken into fragments; and this fragmented pattern provides the material which the two speaker-performers utilize adequately in a musical event.
The text is not to be read; it is not even necessary that an explicit Montaigne text appear in a recognizable fashion.
Involvement with it simply produces one’s own thoughts; the text acquires motion and the performer draws his or her own portrait.
There is no story, no theatre. Language / semantics acts as a part of the musical performance.

“ Never before have two people judged one matter in complete agreement, and it is impossible to find two congruent opinions, not only among two different people but also within one and the same person at different times” *3

“ The conclusions, which we draw from the confluence of incidents, are indefinite because the incidents are always differing. Nothing is as constant in the relationships between situations as their differences and alterations” *3
“ And there is as much variation between us and ourselves as between us and others. *4

*1) : Heinz von Foerster, KybernEthik,
*2) : Ralph-Rainer Wuthenow, Selbsterfahrungn und Skepsis, Die >Essais< von Michel de Montaigne
*3) : Michel de Montaigne, Essais, III,13 De l’expérience
*4) : Michel de Montaigne, Essais, II,1 De l’inconstance de nos actions

translation: Lothar Benno Ganz

 

Das Montaigne  Projekt

Grenz-Übergänge – Versuch einer Essayistischen Musik

Ein Beobachter ist von den Objekten getrennt,
Individuen sind voneinander getrennt:
Eine Grenze.

Ein Beobachter beeinflusst / impliziert mit seinen Eigenschaften und Bedingungen das beobachtete Objekt:
Ein Übergang.

„Es bleibt nichts übrig, wenn die Eigenschaften des Beobachters
( nämlich beobachten und beschreiben ) ausgeschlossen werden.“*1

Im Essay ist der Beobachter auch zugleich Objekt der Betrachtung das sich unter dem Einfluss des Blickes stetig verändert und erst im eigenen Tod (Grenze und Übergang) ein Ende findet.
Es entsteht eine Zirkularität und ständige Übergänge zwischen Betrachtendem und Beobachtetem, in die
ein Leser / Zuhörer mit einbezogen wird.
Der Essayist nimmt sich selbst als Ausgangspunkt, um zum Unbekannten,
Nicht – Festgelegten und Überraschenden zu gelangen, anhand der Beschreibung eines Gegenstands zeichnet er sein fließendes, entgleitendes Portrait, das eines sich entwickelnden Menschen, der nie fertig ist. *2

Innerhalb einer Subjekt – Objekt Implikation gerät die Welt in Bewegung, das Denken führt zu immer neuen Entdeckungen, zu Steigerungen, Metamorphosen.

„Nichts ist konkret definierbar, das ist die Beunruhigung die davon ausgeht: Es gibt nichts festzuhalten, der Essayist in seinem Wandel erlebt die Dinge so vielseitig, dass er immer nur einen Blickwinkel, einen Gesichtspunkt annimmt, um die Dinge zu berühren und an ihnen zum Denken zu kommen und sich selbst zu finden;
es entfaltet sich ein Prozess, in dem die Gegenstände quasi flüssig werden und die Linien des Portraits verwischen, weil der Essayist sich lebend sieht, ist er niemals der Selbe, alles ist Übergang, nichts wirklich gesichert.“*2

„Nicht bloß der Wind der Zufälle bewegt mich nach seiner Richtung, sondern ich bewege mich noch obendrein, und krümme und winde mich noch selbst, nach der Unsicherheit meiner Lage. Und wer nur genau im Anfange darauf merkt, wird sich schwerlich zweimal in völlig einerlei Lage befinden.
Ich gebe meiner Seele bald dieses Gesicht, bald ein andres, je nachdem die Seite beschaffen ist, wohin ich sie kehre. Spreche ich auf verschiedene Weise von mir, so geschieht es, weil ich mich auf verschiedene Weise betrachte. Es finden sich hierbei alle Widersprüche; je nachdem die Wendung ist, je nachdem die Umstände sind.“*4

Auf einem Essay-Begriff Montaignes konstituiert sich was man
essayistische Musik nennen könnte :
An die Stelle von Beobachtung, Beschreibung tritt zuhören / wahrnehmen, agieren, reagieren im musikalischen Kontext, in der Gruppe.
Die beteiligten MusikerInnen nehmen sich selbst als Ausgangspunkt, um mit ihren Aktionen den musikalischen Verlauf, die Komposition und die Situation zu verändern, was mit der Reaktion der anderen wiederum die eigene Situation verändert und so neue Impulse, Reaktionen provoziert.
Der Zuhörer ist in diese Zirkularität mit einbezogen indem er ( wiederum sich als Ausgangspunkt nehmend ) das Geschehen deutet, beobachtet, sich mitziehen lässt, skeptisch einen Prozess in Gang setzt.
Komposition gerät in Bewegung (was Umberto Eco als „mobile Komposition“ bezeichnet hat)
Es entstehen ständige Übergänge, ein Fließen, ein Perpetuum Mobile, das nie fertig und (theoretisch) unendlich ist. Tradition ist gegenwärtig, aber in Bruchstücke aufgelöst.

Zwei Sprecher (in der Uraufführung Fernanda Farah und Sven Åke Johansson) interpretieren im musikalischen Zusammenhang die literarische Vorlage eines oder verschiedener Essays.
Ebenso wie Montaigne zu seiner Zeit Fragmente römischer und antiker Literatur aufgreift und daran seine Skepsis entwickelt, wird der Text der Essays in Fragmente zerlegt, und diese bruchstückhafte Vorlage liefert das Material für die beiden Sprecher-Performer im musikalischen Geschehen adäquat mitzutun.
Der Text soll nicht gelesen werden, es muss noch nicht einmal explizit ein Montaigne Text erkennbar vorkommen.
Die Beschäftigung damit provoziert lediglich eigene Gedanken, der Text gerät in Bewegung, der Performer zeichnet sein / ihr eigenes Portrait.

„Noch niemals haben zwei Menschen über eine Sache völlig gleich geurteilt, und es ist unmöglich, zwei völlig ähnliche Meinungen zu finden, nicht nur bei zwei verschiedenen Menschen, sondern bei ein und demselben Menschen, nur zu verschiedenen Stunden.“ *3

„Die Folgerung, welche wir aus dem Zusammentreffen der Erscheinungen ziehen, ist unsicher, weil die Erscheinungen allemal verschieden sind .
Nichts ist in den Verhältnissen der Dinge so durchgängig allgemein als Verschiedenheit und Veränderung.*3
Und es befindet sich ebensoviel Verschiedenheit zwischen uns und uns selbst als zwischen uns und andern.“*4

*1) : Heinz von Foerster, KybernEthik,
*2) : Ralph-Rainer Wuthenow, Selbsterfahrungn und Skepsis, Die >Essais< von Michel de Montaigne
*3) : Michel de Montaigne, Essais, III,13 De l’expérience
*4) : Michel de Montaigne, Essais, II,1 De l’inconstance de nos actions