Radical plurality
published in the german new music magazine Positionen ( #43 )
Concept: Instead of a search for consensus which ultimately ends in uniformity, discord and radical plurality are the ingredients that determine the group. What matters is not a struggle for unity, but the creation of multiplicity, plurality of languages, models, methods, experiences, ideas and their simultaneity. The same way unity can ultimately transmute into uniformity, there is also the danger of radical diversity ending in a kind of „atomism, that is, a disjointed plurality“(1). This means that in the musical communicative process, links and connections which create integration or a kind of open unity must be made. In this context I experience the concept of time as a central issue. „Time is no longer regarded as unilinear, the moment is the complex(ion) of many possible sources, there are always several possibilities. Occurrence gains the character of event. Moments are restored their character of the possible. Premeditation is replaced by event, calculation by concern, plan by what happens to one. Differences appear as an elixir of reality, empty zones of vagueness prove to be a connective medium and energetic potential.“(2) Time as a pulsating grey area, seen no longer as moments in time but as areas of transition of innumerable causes to innumerable effects – for me this blurred zone is the reason why one´s sense of time changes during concerts and why even five-hour performances can be sustained. The out-of-focus, the vague, the idea that every kind of language (hence also musical language) is determined by ambiguity, uncertainty, possibility and probability, are all themes in which I see the chance of liberation / release. Not man is in command of language, but language is in process structurally and in event, and man only enters the game opened by speech. A sentence „happens“… the point is leaving behind human anthropocentrism.´(3) Criticism of anthropocentrism focuses primarily on an instrumentalization of linguistic conception and on the reduction of language to information. The liberation from calculative thought and the de-functionalization of language / speech (and music) can lead to a poetry which „celebrates the fact that we possess nothing“ (John Cage). Not the order and arrangement of things, but rather provocation of blank spaces and contradictions lead to a kind of informal music, the categories and experiences of which are the trace or track, the approach, and the delay of meaning. In this distance from reality lies the possibility of discovering something new of opening up accessible paths. Jean François Lyotard calls this „legitimation by paralogy“.
(mr) translation : William Wheeler * Wolfgang Welsch „Unsere postmoderne Moderne“ Berlin, 1997 *1 p.189 *2 p.247 *3 p.249
Radikale Pluralität
veröffentlicht in der Zeitschrift für Neue Musik Positionen ( #43 )
Konzept : Vermeidung einer Suche nach Konsens, der in letzter Konsequenz in Uniformität endet, sondern Dissens und radikale Pluralität sollen die Musik ausmachen. Es geht nicht um das Ringen um Einheit sondern um Erzeugung von Vielheit, Pluralität von Sprachen, Modellen, Verfahrensweisen, Erfahrungen, Ideen und ihrer Gleichzeitigkeit. So, wie Einheit in letzter Konsequenz zu Uniformität mutieren kann, so besteht die Gefahr, daß radikale Diversität in einer Art „ Atomismus also zusammenhangloser Pluralität“(*1) endet, das bedeutet, es müssen im musikalischen, kommunikativen Prozess Verbindungen geschaffen werden, die Integration oder eine Art offene Einheit schaffen. Das Zeitverständnis erlebe ich in diesem Zusammenhang als einen zentralen Punkt. „ Die Zeit wird nicht mehr unilinear betrachtet, der Moment ist Komplexion vieler möglicher Ursprünge, es bestehen immer mehrere Möglichkeiten. Geschehen bekommt den Charakter von Ereignis. Der Möglichkeitscharakter der Momente rückt wieder in den Blick. Kalkül wird durch Ereignis, Berechnung durch Betreffbarkeit und Plan durch Widerfahrnis abgelöst. Differenzen zeigen sich als Elixier von Realität, Leerzonen der Unbestimmtheit erweisen sich als Verbindungsmedium und Energiepotential.“(*2) Zeit als pulsierende Grauzone, nicht mehr als Zeitpunkt, sondern als Fläche und Übergang von unendlich vielen Ursachen zu unendlich vielen Wirkungen betrachtet, diese Unschärfe ist für mich der Grund, daß sich bei Konzerten das Gefühl für Zeit verändert und selbst 5-stündige Aufführungen tragfähig bleiben. Im Thema der Unschärfe und Unbestimmtheit, in der Idee, daß jede Art von Sprache also auch die musikalische von Ambiguität, Ungewissheit, Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit geprägt ist sehe ich eine Chance zur Befreiung. „ Nicht der Mensch ist Herr der Sprache, sondern die Sprache ist strukturell und ereignishaft vorgängig, und der Mensch tritt in das von der Sprache eröffnete Spiel nur ein. Ein Satz „geschieht“ … es kommt darauf an, den menschlichen Anthropozentrismus hinter sich zu lassen“(*3) Die Kritik des Anthropozentrismus hat vor allem die Instrumentalisierung der Sprachauffassung und die Reduktion von Sprache zu Information im Visier. Die Befreiung aus dem kalkulierenden Denken und die Entfunktionalisierung von Sprache (und Musik ) können zu einer Poesie führen, die „feiert, daß wir nichts besitzen.“ ( Cage ) Es werden nicht Dinge in eine Ordnung gebracht, sondern Leerstellen und Widersprüche provoziert, die zu einer Art informeller Musik führen deren Kategorien und Erfahrungen Spur, Fährte, Bahnung und der Aufschub des Sinns sind. In diesem Abstand von der Wirklichkeit liegt die Möglichkeit, Neues zu entdecken, gangbare Wege zu erschließen. Bei J.F.Lyotard heißt das : Legitimierung durch Paralogie. (mr) * Wolfgang Welsch „Unsere postmoderne Moderne“ Berlin 1997 *1 S.189 *2 S.247 *3 S.249